Mit dem Schwerpunkt Erkenntnisgewinnung im Bereich der Sozialdienstleistungen und des Behindertenrechtsschutzes, Vergleich der Erfahrungen aus der Tschechischen Republik mit den Erkenntnissen und der Praxis der schweizerischen Partner des Projekts
An den Besprechungen 30.09. – 05.10.2012 in den Regionen Thurgau und Bern nahmen Teil die Vertreter des „Leben ohne Barrieren“.
Christian Lohr - Vertreter des Nationalrates des Schweizerischen Parlaments – Arbon
30. 9. 2012
Bereits am ersten Tag, gleich nach der Ankunft in der Schweiz. hatten die Vertreter des Bürgerverbands die Möglichkeit, Herrn Christian Lohr zu treffen. Herr Lohr setzt sich seit langer Zeit für die Verbesserung der Bedingungen ein, die die Integration der Behinderten in die Gesellschaft ermöglichen, und arbeitet eng zusammen mit vielen Subjekten, die sich auf diesem Gebiet engagieren. Im Dezember 2011 wurde er in den schweizerischen Nationalrat gewählt, wo er als Mitglied der Kommission für Sozialversicherung und Gesundheit, sowie der Redaktionskommission arbeitet. Somit setzt er die Interessen der Behinderten durch seine legislative Initiative und seine Arbeit in der Sozialgesundheitlichen Kommission durch.
Im Rahmen der Revision des Bundesrechts über Invalidenversicherung hat er sich z.B. an der Durchsetzung des Vorschlags über Einführung von Assistenzzuschuss beteiligt.
Mit Herrn Lohr diskutierten die Vertreter des Bürgerverbands über einige Bereiche.
Als erstes Thema wurde das immer noch aktuelle System des Assistenzzuschusses und seine Bestimmung ausgewählt. Die Möglichkeit, den Assistenzzuschuss zu beantragen, bekamen die Behinderten in der Schweiz ab dem 1.1.2012. Den Anspruch auf diesen Zuschuss haben die Behinderten, die die sog. Hilflosenentschädigung beziehen. Diesen Zuschuss bekommen alle Personen, die auf Grund der beschädigten Gesundheit auf stetige Hilfe einer zweiten Person angewiesen sind, oder individuelle Aufsicht für die Ausführung der elementaren Alltagstätigkeiten benötigen. Aus dieser Versichertengruppe haben nur die jenigen einen Anspruch auf den Assistenzzuschuss, die außerhalb einer Anstalt leben, oder solche Einrichtung verlassen wollen, denn das Ziel des Assistenzzuschusses ist die Behinderten dabei zu unterstützen, ein eigenständiges und verantwortungsvolles Leben zu führen. Der Assistenzzuschuss hilft den Behinderten, die Kosten für die Hilfe und Pflege zu decken, die für diese Lebensweise benötigt werden.
Das Grundprinzip des Assistenzzuschusses beruht darauf, dass die Behinderten zu Arbeitgebern werden, mit allen Verpflichtungen, die mit dieser Position verbunden sind. Die Behinderten können dank dem Assistenzzuschuss wählen, wer, wann, wo, wie und wie lange ihnen helfen wird.
Der Assistenzzuschuss wird monatlich ausbezahlt. Seine Höhe ist von der Stundenzahl und der Assistenzart abhängig und wird individuel mit Hinsicht auf Bedürfnisse des konkreten Behinderten bestimmt. Dabei wird auch der Umfang der Assistenz berücksichtigt, die aus anderen Quellen bezahlt werden könnte.
Der Assistenzzuschuss hat einige gemeinsame Merkmale mit dem Pflegezuschuss, der in Tschechien ausbezahlt wird. Die Vertreter des Verbands beschrieben Herrn Lohr kurz sein Prinzip.
Die Einführung des Assistenzzuschusses hängt eng mit dem Trend im Bereich der Behindertenpflege zusammen, der in der Schweiz in den letzten Jahren unterstützt wird. Dieser Trend beruht auf der Unterstützung der Heimpflege, die dann ermöglicht, die Kapazität der Anstalten schrittweise zu beschränken. Die Qualität der Behindertenpflege in der Schweiz wurde durch die modernen Einrichtungen gewährleistet und war schon immer sehr hoch, es wurden die neuesten Methoden und Ergebnisse benutzt. Es ging allerdings vor allem um die stationäre Pflege. Erst in den letzten Jahren wird die Integration der Behinderten in die Gesellschaft stärker unterstützt und die neu empfangenen Mittel der Behindertenzuschüsse werden in der ersten Linie für die Schaffung der Bedingungen benutzt, damit die Behinderten im heimischen Umfeld leben könnten. In Tschechien wird der selbe Trend unterstützt, deswegen machten die Vertreter des Bürgerverbands Herrn Lohr mit den Informationen über das Pilotprojekt Desinstitutionalisierung von Pflegeeinrichtungen der Sozialdienstleistungen bekannt, das in Tschechien im Rahmen des Projekts für die Unterstützung der Transformation der Sozialdienstleistungen läuft.
Herr Lohr stellte kurz das System der Behindertensozialdienstleistungen in der Schweiz vor, das sehr dezentralisiert ist. Über die meisten Leistungen von diesem System entscheiden die einzelenen Kantone (bzw. die Gemeinden) selbst. Es gibt 26 Kantone, man könnte also sagen, dass in der Schweiz 26 verschiedene Pflege- und Dienstleistungssysteme für Behinderten existieren, die sich untereinander ziemlich unterscheiden können. Es wurde auch das Finazierungssystem der Behindertenpflege mit dem Konzept der Invalidenversicherung kurz erwähnt, die für alle Einwohner obligatorisch ist, sowie das System der Auszahlung der Invalidenrente, deren Höhe u.a. von dem Einkommen des Behinderten abhängig ist. So kann bei einem höheren Einkommen die Höhe der Invalidenrente bei Null liegen. Bei der Berechnung der Höhe des Assistenzzuschusses werden allerdings die Einkommen- und Eigentumsverhältnisse des Behinderten nicht berücksichtigt.
Die Invalidenversicherung ist ein Bestandteil der obligatorischen Sozialversicherung und der Satz liegt bei den Arbeitnehmern bei 1,4 % (der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlen je 0,7 %). Von diesen Geldern werden in der Schweiz die Dienstleistungen und die Pflege für die Behinderten bezahlt.
(Weitere Informationen über den schweizerischen System der Sozialversicherung in der bevorstehenden Studie, die das Spektrum der Dienstleistungen für die Behinderten analysiert, und die vom Bürgerverband Leben ohne Barrieren Anfang 2013 herausgegeben wird, im Rahmen des Projekts der schweiz-tschechischen Zusammenarbeit.)
Während des Gesprächs mit Herrn Lohr wurden auch die Fragen betr. der Bewältigung seiner alltäglichen Tätigkeiten besprochen. Herr Lohr erklärte uns die Anschaffungsweise der Hilfsmittel und schilderte einige Beispiele des barrierefreien öffentlichen Verkehrs. In die behindertengerechten Maßnahmen wird im öffentlichen Verkehr in der Schweiz viel investiert, und alle Verkehrsmittel sind sehr gut dem Transport der Behinderten mit verschiedenen Arten der Behinderung angepasst. Für die Behinderten steht auch ein erschwingliches Angebot vom speziellen Taxiservice zur Verfügung.
Weitere Informationen über die Aktivitäten von Herrn Lohr auf seiner Web-Site www.lohr.ch.
Brüggli - Romanshorn - 1. 10. 2012
Die Organisation Brüggli zählt mit ihren ca. 700 Mitarbeitern zu den größten Ausbildungs- und Integrationsinstitutionen in der östlichen Schweiz. Sie bietet Ausbildung, Dienstleistung der unterstützten Beschäftigung, sowie Arbeitsbetätigung den Behinderten ab 16 Jahren mit einem psychischen oder körperlichen Handicap an.
Die Organisation bietet Ausbildung und Arbeitsbetätigung im Bereich der mechanischen Industrie,
Montage, Textilproduktion, Organisation und Verwaltung des Ver- und Einkaufs, des Qualitätsmanagements, der IT und Grafik, des Drucks und der Litografie, Gastronomie, Buchhaltung und Steuern, Personalverwaltung und Logistik. Im Jahre 2012 wurden fast 55 Ausbildungsfächer mit 1 bis 4 Jahren Ausbildungszeit für Behinderten angeboten. Der teoretische Teil der Ausbildung wird im Ausbildungszentrum der Organisation realisiert, der praktische Teil in einzelnen Betrieben. Diese Betriebe bilden zusammen ein großes Sozialbetrieb, in dem einige Absolventen ihre Arbeitsbetätigung finden. Den anderen hilft die Organisation bei der Suche nach einer passenden Einstellung auf dem freien Arbeitsmarkt.
Die einzelnen Betriebe Brüggli bieten ihren Kunden viele Dienstleistungen und Produkte an, wie z.B. Kinderfahrradanhänger, Hundetransportboxen, Textilprodukte wie Bekleidung, Accessoires, usw.
Herr Markus Kümin, der Leiter des Zentrums für die Arbeitsintegration, führte die Vertreter des Bürgerverbands durch alle Betriebe der Organisation, ermöglichte ihnen den Einblick in einen Arbeitstag von dutzenden Arbeitnehmern und Studenten, und informierte sie über das Ausbildungs- und Arbeitsintegrationssystem der Behinderten, das die Organisation anbietet.
Der Organisationsbetrieb wird zu etwa 40 % vom Staat finanziert, 30 % machen die Beiträge der einzelnen Kantone und die restlichen 30 % sind die Einnahmen aus dem Verkauf der Eigenprodukte
und Dienstleistungen. Die Ausbildung ist für die Behinderten kostenlos, genauso wie die Dienstleistung der unterstützten Beschäftigung, zu dem auch die Arbeitsassistenz gehört. Neben der Ausbildung bietet Brüggli den Studenten auch die Unterkunft an. Weitere Aktivitäten, wie z.B. die Freizeitaktivitäten, die nicht zu der Ausbildung gehören, bietet die Organisation allerdings nicht an. Das Dienstleistungsangebot der Organisation wird etwa zum gleichen Teil von Männern und Frauen ausgenutzt.
Herr Kümin kümmert sich hauptsächlich um die Erweiterung der Beziehungen mit den Firmen, um für die Absolventen eine passende Arbeitsstelle auf dem freien Arbeitsmarkt finden zu können. Dazu gehört aktive Kontaktanknüpfung mit allen neuen Unternehmersubjekten in der Region, Kontaktpflege mit den bestehenden Partnern unter den Privatfirmen, sowie die regelmäßigen Treffen mit den Vertretern des privaten Sektors, die in dem Brüggli-Haus stattfinden und an denen Vertreter vieler Firmen teilnehmen. Die Firmen können sich mit der Hilfe von den Fachleuten des Zentrums für die Integration ihre zukünftigen Arbeitnehmer aussuchen und ihnen bereits während des Studiums ermöglichen, Arbeitserfahrung im eigenen Betrieb zu sammeln.